Experten-Interview zu den Themen Hospitality, Tourismus und Leisure

INTERVIEW

Hotelfachzeitung: Wie werden sich die Bedürfnisse von Urlaubern durch die Pandemie verändern?

Christian Buer: Zunächst einmal spielt der Faktor Erholung als Grundbedürfnis der Reisenden weiterhin die tragende Rolle. Nach der Pandemie wird dieser nur noch wichtiger werden. Was sich geändert hat, sind die Rahmenbedingungen. Das Grundvertrauen in die Systeme und Strukturen der jeweiligen Urlaubsdestination und auch in die Reiseveranstalter hat unter der Pandemie gelitten und die Haltung der Reisenden ist heute kritischer. Das wird nicht zuletzt durch die allgemeine Verunsicherung der Politik und deren Märkte beeinflusst. Mittel- und langfristig wird die Pandemie auch das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit im Urlaub stärken. Was Kurzreisen bzw. Zweiturlaube angeht, wird die Nachfrage nach Flugreisen mittel- und längerfristig sinken. Bodengebundenes Reisen wird an Bedeutung gewinnen.

Brigitte T. Gruber: Da stimme ich zu. Fernreisen treten in den Hintergrund und im Gegensatz dazu werden Destinationen, die gut mit dem Auto oder mit der Bahn erreichbar sind, umso beliebter. Die Pandemie ist ein Beschleuniger dieser Entwicklung. Reisende verbringen ihren Urlaub zudem deutlich häufiger im eigenen Land oder im nahen Ausland. Das zeichnet sich beispielsweise in Österreich ab, wo der Tourismus ohne den Lieblingsnachbar Deutschland nicht funktioniert. 2020 zählte das Land 38,51 Mio. Übernachtungen von deutschen Gästen.

Hotelfachzeitung: Welche Form des Reisens und welche Reiseziele werden in der DACH-Region besonders gefragt sein?

Brigitte T. Gruber: Allgemein steht das Erleben von Natur und die Erholung deutlich im Fokus. Destinationen am See oder in den Alpen mit einem umfangreichen Aktivprogramm und einem guten Angebot an Ferienwohnungen, die Selbstbestimmung erlauben, sind jetzt gefragt. Dieser Trend wird sich fortsetzen, was auch dem steigenden Bewusstsein in Bezug auf die Klimakrise geschuldet ist.

Heinz Wehrle: Auch das Stichwort Gesundheit – ob mental oder körperlich – fällt im Zusammenhang mit Reisen vermehrt. Das Motto lautet jetzt: entspannen, Kräfte sammeln und wohlfühlen. Deshalb sind Urlaube mit umfangreichen Wellnessangeboten durch Spas oder Möglichkeiten zur Sportausübung beliebter denn je.

Hotelfachzeitung: Welche Rolle spielen Faktoren wie Sicherheit, Flexibilität und kontaktlose Reise- und Serviceangebote bei der Urlaubsbuchung seit der Pandemie?

Christian Buer: Diese Faktoren, die für viele Reisende vor der Pandemie eher zweitrangig waren, rücken jetzt mehr in den Vordergrund. Aktuell bedeutet unbeschwertes Reisen auch, dass kein bzw. nur ein geringes Risiko einer Erkrankung eingegangen werden muss und auch nach der Reise keine Benachteiligungen entstehen. Damit einher geht der Wunsch nach Kurzfristigkeit und Flexibilität, auch in Bezug auf die eigentliche Urlaubsbuchung und die Gestaltung des Urlaubs vor Ort.

Ich vermute, dass die Digitalisierung und das kontaktlose Reisen, wie es beispielsweise schon in der Airline-Industry bekannt ist, auch in den Hotels Einzug halten wird. „Bring your own Device (BYOD)“ und „Outsourcing of Services to the Guest” werden zum Standard, sodass der Gast zu einem partizipativen Mitglied der Dienstleistung wird und sich dies sogar selbst wünscht. Dieses Szenario erhöht wiederum die Flexibilität der Dienstleistung am Gast, dadurch, dass dieser digital selbständig unterwegs ist.

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Hotelfachzeitung: Vor welchen Herausforderungen, auch im Bereich Digitalisierung, stehen Hotelbetreiber diesbezüglich und wie können sie diesen neuen Bedürfnissen gerecht werden?

Brigitte T. Gruber: Die Digitalisierung ist spätestens jetzt auch im Tourismus angekommen. Die Pandemie hat ihre Bedeutung und Relevanz sowohl auf der Seite der Reisenden als auch auf der Seite der DienstleisterInnen verstärkt. Digitales Buchen, Einchecken und die Möglichkeit eines weitestgehend kontaktlosen Urlaubes werden wohl in der nächsten Zeit noch mehr ausgebaut werden – dennoch wollen die Reisenden dabei nicht auf persönlichen Service verzichten. Neue Konzepte und digitale Ansätze sind im Vormarsch, aber auf der Seite der BetreiberInnen oder InvestorInnen auch mit hohen Kosten verbunden, was gerade jetzt für viele schwer zu stemmen ist.

Christian Buer: Hotels müssen sich im Rahmen dieses Digitalisierungsprozesses der Herausforderung stellen, weg vom Produkt und hin zum Prozess zu agieren. Hoteliers neigen dazu, in Produkten zu denken. Nun ist es aber Zeit, am Gast in Prozessen zu denken und im Sinne des „Do-it-Yourself“-Gedanken daraus das Produkt zu schaffen. Der Gast will Erlebnisse während eines Aufenthaltes. Und diese Erlebnisse werden durch seine Beteiligung im Prozess erst ermöglicht. So wird es nach der Pandemie Gäste geben, die verstärkt den kontaktlosen Aufenthalt fordern, ohne dabei ihr Urlaubserlebnis zu mindern. Hier setzt eben die Digitalisierung ein. Wenn ich dem Gast „Do-it-Yourself“-Funktionen ermögliche (z. B. Check-In, Buchung von Restaurant etc.) und auch den Informationsaustausch über Chat-Funktionen anbiete, wird der Gast sein Erlebnis noch individueller gestalten können. Gleichzeitig kann sich der Hotelier auf die Gäste konzentrieren, die dies eben nicht wünschen.

Hotelfachzeitung: Urlaube in touristischen Hotspots wie Mallorca, Jesolo oder Barcelona sind sehr gut gebucht. Wie erklären Sie diese Reiseaktivitäten angesichts der Pandemie?

Heinz Wehrle: Hier treffen natürliche moralische Bedenken und die Sehnsucht nach Urlaub aufeinander. Der dringende Wunsch nach Urlaub mit Familie oder dem Partner bzw. der Partnerin und das Bedürfnis, andere Menschen zu treffen und Spaß zu haben, Orte zu sehen, hat in den letzten Monaten seinen Höhepunkt erreicht und ist sicherlich der größte Antreiber dafür, dass gerade diese klassischen Reiseziele so gut gebucht sind. Traditionelle Erlebnisdestinationen, die keine allzu langen Flugreisen inkludieren und gleichzeitig nicht vollständig „fremd“ sind, scheinen hier einen geeigneten Mittelweg zu bilden.

Hotelfachzeitung: Auch das Geschäftsreise-Segment und die Stadthotellerie haben die Folgen der Pandemie zu spüren bekommen und es hat sich gezeigt, dass viele geschäftliche Reisen durch digitale Meetings ersetzt werden können. Wie wird sich dieser Bereich zukünftig entwickeln?

Christian Buer: Die Gäste, die es gewohnt sind, regelmäßig geschäftlich zu reisen, werden das mit abnehmendem Risiko durch die Pandemie auch in den nächsten Jahren wieder tun. Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage bereits im Jahr 2022 wieder zunehmen wird und zum Status des Geschäftsreisenden gehört. Die Frage ist eher, welche Reisen eingespart werden könne, da die Digitalisierung es durch neue Möglichkeiten erlaubt. Es werden Standard-Prozesse sein, die in Teams auch online durchgeführt werden. Hierbei werden Effizienzen gesteigert, nicht aber Innovationen gefördert. Daher bin ich entgegen der breiten Mehrheit der Meinung: Geschäftstourismus wird zurückkommen.

Heinz Wehrle: Aus der Private Aviation Branche höre ich bereits jetzt vermehrt, dass die Jets noch nie so gut gebucht waren wie innerhalb der letzten 16 Monate. Gerade Top-Level-Geschäftsleute buchen aktuell Suiten für Meetings in Hotels wie z.B. dem Dolder Zürich (City Resort). Ich denke, das Geschäftliches besonders in einigen Bereichen weiterhin persönlich bleiben wird – mit hoher Flexibilität, aber auch mit hohen Kosten.

Brigitte T. Gruber: Die Stadthotellerie hat ihre eigenen Regeln und ist eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Segmente. Es wird noch Jahre dauern, bis sie sich auf das Vorkrisenniveau zurückbewegt haben wird. Vor allem Häuser mit Investitionsstau werden es schwer haben oder ganz vom Markt verschwinden. Gute Lagen, eine gute Qualität und eine klare Positionierung mit einem innovativen Produkt werden die nächste Zeit hingegen gut überstehen. Viele Hotels haben die Zeit für Renovierung und zur Entwicklung eines neuen Angebotes genutzt, auch mithilfe staatlicher Förderungen. Städte mit einem guten touristischen Angebot, mit Kultur und Kunst, haben gute Aussichten. Wien und Salzburg sind dafür gute Beispiele. Gäste aus Übersee, die für diese Destinationen sehr wichtig sind, werden aber noch länger ausbleiben. In Österreich hatten wir in den letzten Jahren einen hohen Anteil an Gästen aus Asien (China, Korea, Indien und Japan) und der amerikanische Tourist hatte immer eine große Bedeutung. Geschäftsreisen sind noch immer verhalten, digitale Meetings finden weiterhin statt. Unternehmen haben auch erkannt, wie viel Geld mit weniger Reisen eingespart werden kann. Wien ist eine der weltweit erfolgreichsten Kongress-Destinationen. Der Wegfall dieses Segments ist für den Tourismus, aber auch für die Wertschöpfung der Stadt aktuell ein harter Schlag.

Hotelfachzeitung: Die Gäste kehren langsam zurück, nun fehlt es an Personal. Die Pandemie hat den Fachkräfte-Mangel in der Hotellerie noch einmal verstärkt. Was können und müssen die Betriebe tun, um neue Beschäftigte zu finden und auch, um bisherige Beschäftigte zu halten?

Brigitte T. Gruber: Die Branche braucht generell einen Imagewandel, es muss wieder attraktiver werden, im Tourismus zu arbeiten. Dazu ist es wichtig, dass sich die ArbeitgeberInnen gut präsentieren. Damit sind nicht nur Hotels mit einer starken Marke und internationale Brands gemeint. Es muss gezeigt werden, dass Häusern etwas daran liegt, ihre Mitarbeitenden zu entwickeln und zu schulen und ihnen damit Karrierechancen aufzeigen – so steigt auch die Chance auf gutes Personal. Auch in der Ferienhotellerie ist es elementar, den Mitarbeitenden eine Ganzjahresstelle zu bieten und eine gute Unterkunft zu stellen. Personalhäuser mit attraktiven Wohnungen sind wichtiger denn je und auch ein gutes Betriebsklima ist unverzichtbar. Die Hotellerie hat so viele Möglichkeiten, das Miteinander zu fördern. Ein Hotel funktioniert nur wirklich gut, wenn alle an einem Strang ziehen und das Gästewohl im Vordergrund steht. Das gemeinsame Ziel verbindet.

Christian Buer: Und die Lücke des Mistrauens schließen! Die Branche hat es in den vergangenen zehn Jahren, versäumt die Mitarbeitenden zu motivieren und die junge Generation in die Branche zu integrieren. Das ist kein Vorwurf an eine Organisation oder an einzelne Betriebe. Es ist viel mehr die Folge der anwendungsorientierten Branche, die operativ täglich gebunden war bzw. es sein wird. Die Mitarbeitenden müssen motiviert werden, was zu höheren Betriebskosten führt. Das muss schlussendlich mit dem Preis kompensiert werden. Ob dies der Markt erlaubt und damit die Gäste sofort nachgeben werden, wird sich zeigen.

Hotelfachzeitung: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Beratungsunternehmen für Hotellerie und Tourismus im Hinblick auf Ihre Kundschaft aktuell?

Christian Buer: Projekte müssen zukünftig prozessorientierter gedacht werden, sodass sie eine breitere Nachfrage generieren können. Wir sind auch im Bereich der Digitalisierung darauf spezialisiert, die Prozesskosten zu reduzieren (z.B. im Einkauf), die Umsätze zu optimieren (Revenue Management) und das Hotel an sich zu modernisieren bzw. digitalisieren. Des Weiteren sind wir spezialisiert, die Wirtschaftlichkeit der Hotels gemeinsam zu erarbeiten und diese zu verbessern. Unsere Hauptfokus bei Horwath HTL liegt also in der Innovation, der Entwicklung und (Neu-)Interpretation.

Brigitte T. Gruber: Viele Hotels richten sich jetzt neu aus und benötigen eine Repositionierung und neue Konzepte in den verschiedensten Bereichen. Wir sehen aber auch Bewegung am Transactions Markt. Das Generationen-Problem wir schneller akut und Betriebe werden nicht mehr traditionell an die nächste Generation weitergegeben, sondern NachfolgerInnen werden außerhalb der Familie gesucht, das kann als Pacht oder auch als Transaktion stattfinden. Es wird sicher eine Marktbereinigung geben, im Zuge welcher Häuser zu Apartmenthäusern bzw. Apart Hotels umgewandelt werden, komplett vom Markt verschwinden oder eben den Eigentümer und/oder den Betreiber wechseln. Wir schätzen, dass sich der Markt ab Herbst bewegen wird. Auf Seiten der EigentümerInnen werden Verträge mit BetreiberInnen neu verhandelt und evaluiert, um mehr Ausgleich zu schaffen und um das Risiko besser aufzuteilen. Generell wird sich die Hotellerie verändern, das hat sicher mit dem Personalmangel zu tun, aber auch mit dem Thema Nachhaltigkeit und mit dem Vormarsch der Digitalisierung. All diese Bereiche benötigen Unterstützung und Begleitung von erfahrenen Beratern.

Hotelfachzeitung: In welchem Bereich sind Beratungsleistungen besonders gefragt?

Christian Buer, Brigitte T. Gruber, Heinz Wehrle: Immobilie, Development, Finanzierung, Asset Management, Digitalisierung und Prozessanalysen