In Österreich und Deutschland schnellen die Corona-Inzidenzen in die Höhe, die Ereignisse überschlagen sich seit Mittwoch. Bundesländer jonglieren mit 2G und 2G+ Regelungen. Offiziell schickt niemand die Branche in einen Lockdown, de facto aber passiert es. Die Stornowelle rollt. Prof. Christian Buer kommentiert.
Wer wissen möchte, welches Bundesland in Deutschland gerade für welche Art von Veranstaltung oder Gastronomie-Besuch aktuell welche Voraussetzungen erfüllen muss, findet Infos dazu beispielsweise in einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 17. November.
Die Verwirrung ist jedenfalls perfekt: So hat beispielsweise Nordrhein-Westfalen 2G- und 2G plus-Regeln für Gastronomie und Diskotheken angekündigt, Hamburg 2G ausgeweitet und Restaurants, Bars und Clubs künftig für Ungeimpfte tabu erklärt. Sachsen will die 2G-Regel bei Überlastung auf Teile des Einzelhandels erweitern und plant für Freizeit- und Kultur-Events eine 2G+ Option, wenn die Veranstaltung mehr als 50 Personen zählt. Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann soll sogar bereits geäussert haben, einen Lockdown nicht auszuschliessen. Zudem dauert die Diskussion über eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen an, hinzu kommt eine neue über den Sinn oder Unsinn von Impfprämien.
Im Vakuum zwischen alter und neuer Regierung
Inmitten dieses Chaos versucht sich die in Gründung befindliche Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP durch eine Corona-Neuregelung zu profilieren und das bestehende Infektionsschutzgesetz am 25. November auslaufen zu lassen. Für die Branche wäre dies ein kleiner Lichtblick, denn die geplante Neu- Regelung schliesst kategorisch Lockdowns aus. Der Bundestag hat die Drei-Parteien-Vorschläge zu Corona mit neuen 3G-Vorgaben etwa am Arbeitsplatz und in Verkehrsmitteln gestern (18.11.) abgesegnet.
Damit wurde das neue Regelwerk für die Bekämpfung der vierten Welle beschlossen, aber: Es muss am heutigen Freitag noch den Bundesrat passieren. Und ob die noch amtierende, geschäftsführende Bundesregierung dazu ihren Segen gibt, ist fraglich: Im Bundesrat hat die CDU/CSU nämlich noch die Mehrheit. Noch ist die Ampel-Koalition nicht an der Macht.
Geht es nach dem Willen der “Ampel”, dürften die Bundesländer nach dem neuen Gesetz zwar viele Massnahmen beschliessen, die Landesparlamente könnten aber bestimmte Massnahmen nicht ohne weiteres verordnen. Dazu gehören: Ausgangsbeschränkungen, das Untersagen der Sportausübung, die Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften, die Untersagung und Beschränkung von Reisen (insbesondere touristische), Übernachtungsangeboten, gastronomischen Einrichtungen sowie Handel und die Schliessung von Gemeinschaftseinrichtungen (Kitas, Horte, Schulen, Heime etc.).
Dehoga: 2G ist besser als ein Lockdown
Das Gastgewerbe hat von dem ewigen Hin und Her und der bundesdeutschen Uneinheitlichkeit die Nase gestrichen voll. “Schluss mit dem Flickenteppich”, plädierte Andrea Belegante,
Hauptgeschäftsführerin des deutschen Bundesverbandes der Systemgastronomie (BdS) vor der Ministerpräsidentenkonferenz am gestrigen Donnerstag (18.11.). “Wir fordern einheitliche Regelungen.” Die Mitgliedsunternehmen hätten in den vergangenen Monaten hart daran gearbeitet, sich von den wirtschaftlichen Schäden der Lockdowns zu erholen und gleichzeitig hohe Investitionen in Hygiene- und Schutzmassnahmen getätigt.
Dehoga-Präsident Guido Zöllick bezog ebenfalls am Mittwoch Stellung: “Einen Lockdown für Geimpfte und Genesene im Gastgewerbe darf es nicht mehr geben. Es muss alles dafür getan werden, diesen zu verhindern,” sagte er. Der Bundesverband drängt zudem auf klare und möglichst bundesweit einheitliche Corona-Regelungen und appelliert an Gastgeber wie Gäste, ihren Beitrag für die Offenhaltung zu leisten. “Die meisten Bundesländer haben 2G für Restaurants und zum Teil auch für Hotels beschlossen bzw. bereits eingeführt. Jetzt geht es darum, dies sorgfältig und konsequent umzusetzen. 2G ist besser als ein Lockdown.”
Lockdown durch die Hintertür mit 2G+
Der Einführung einer 2G+ Regelung erteilte Zöllick eine strikte Absage. “2G+ ist keine Lösung für Restaurants und Hotels. Es käme einem Lockdown für die Branche gleich. Hotels und Restaurants sind nachweislich keine Pandemietreiber. Und die Geimpften haben ihren Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung bereits geleistet. Wir werden die vierte Welle nicht dadurch brechen, dass wir just von ihnen nun für jeden spontanen Restaurant-Besuch einen Test verlangen.”
Schnurgerade in den Lockdown oder auf Umwegen? Die aktuelle Situation ist brenzlig. / Foto: jens maes unsplash
Anstatt die 57 Millionen vollständig geimpften Menschen in Deutschland in den Fokus der Massnahmen zu nehmen, müsse vielmehr alles unternommen werden, die Ungeimpften zur Impfung zu motivieren. Ebenso müssen die Booster- Impfungen schnellstmöglich umgesetzt werden. Auch verweist Zöllick auf die Gefahr, dass mit 2G+ wieder mehr im Privaten ohne jegliche Hygienekonzepte und Kontrolle gefeiert werde. “Mit 2G+ ist die Gefahr gross, dass Restaurants und Hotels so geringe Umsätze tätigen, dass sich die Öffnung nicht mehr lohnt. Das wäre dann ein Lockdown durch die Hintertür.”
Umfrage: Die Storno-Welle rollt
Die Lage im Gastgewerbe zeigt sich wieder deutlich angespannt, selbst ohne weitere Verschärfungen. Hotels und Restaurants setzten vom 1. bis 15. November 28,2% weniger um als im November 2019. “Das für die Branche so wichtige Weihnachtsgeschäft droht komplett wegzubrechen, wir erleben erneut eine Absagewelle”, erklärt Zöllick mit Verweis auf das Ergebnis einer aktuellen Verbandsumfrage. Umso wichtiger seien jetzt die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sowie der Überbrückungshilfe III Plus bis Ende März.
Die Blitz-Umfrage des Dehoga vom 15. bis 17. November, an der sich 6.870 Betriebe aus ganz Deutschland beteiligten, ergab: Fast 90% (exakt 88,3%) der befragten Unternehmer berichten von corona- bedingten Stornierungen von Weihnachtsfeiern. Fast jede zweite Feier (45,3%) wurde bereits abgesagt. Auch im Veranstaltungs- und Tagungsbereich hagelt es Absagen. In 85,5% der Betriebe wurden Events storniert. 46,3% der Veranstaltungen finden nicht statt.
Gleiches gilt für den Beherbergungssektor. 80,6% der Betriebe beklagen corona-bedingte Stornierungen von Geschäftsreise-Übernachtungen als auch von Touristen. Besonders viele Absagen registrieren Betriebe in den Bundesländern Sachsen, Bayern und Thüringen. Das liegt auch daran, dass die 2G- Regelung in Sachsen bereits seit 8. November gilt.
Als Hauptgrund für den Verzicht auf Übernachtungen und Veranstaltungen nannten 77,9 % der Betriebe die aktuelle Infektionslage. Aber auch die strengeren Zugangsregeln kosten Gäste und damit Umsätze. 46,3% der Betriebe melden, dass ihre Gäste unter Verweis auf die 2G-Regelung storniert hätten.
Dass er die Überbrückungshilfe bis Ende März verlängern wolle, hatte der deutsche, derzeit noch geschäftsführende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in der vergangenen Woche bereits angedeutet. Voraussetzung dafür sei allerdings die Zustimmung der EU-Kommission, so die Tageszeitung FAZ. Die Gespräche mit Brüssel dafür liefen noch, sagte am 17. November eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums.
Unterdessen haben sich bei den Überbrückungshilfen am 15. November einige Änderungen ergeben. Sie sind im Fragenkatalog auf der Website des Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministeriums gelb markiert und betreffen u.a. interaktive Anwendungen von Reisewarnungen oder dass Unternehmen, deren Förderungen mehr als 12 Millionen Euro betragen, bestimmte Bedingungen erfüllen müssen (hier der Link).
ÖHV fassungslos: “Wir haben Alarmstufe Rot!”
Deutlich schärfere Worte als der deutsche Dehoga findet die Österreichische Hoteliervereinigiung (ÖHV). In dem Nachbarland, in dem die Inzidenzen derzeit noch weiter in die Höhe geschnellt sind als in Deutschland und wo man in Salzburg bereits über Triage nachdenkt, fördert die ÖHV lautstark ein Auffangnetz für stark betroffene Branchen und von der regierenden FPÖ eine Kursumkehr. “Statt aus dem vergangenen Herbst zu lernen, wurde der Sommer wieder verschlafen. Die Rechnung dafür zahlen aufs Neue die Tourismusregionen mit Stornos, Stornos, Stornos”, kritisiert der Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung, Markus Gratzer. Jede Massnahme komme zu spät, keiner wisse, was am nächsten Tag geschieht: “So kann es nicht weitergehen!”
Die Stimmung in der Branche ist am Kippen: Der Tourismus habe von der Regierung stets gehört, dass es eine Wintersaison geben werde, ja müsse, sie sei dafür gerüstet. “Ja, wir sind tipptopp gerüstet, unsere Lager sind voll, unsere Teams und unsere Gäste sind geimpft. Aber das hilft nicht, wenn es rundherum an allem mangelt: an effektiven Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie, an PCR-Tests, an der Impf- Bereitschaft und letzten Endes an einem Auffangnetz für jene Unternehmen, die der Regierung vertraut und in die Saison investiert haben”, so Gratzer.
“Die Regierung agiert als Kollegialorgan. Versagt der Gesundheitsminister, muss der Finanzminister einspringen. Denn die Pandemie kommt nie allein, hat immer ihren hässlichen Begleiter dabei, die Weltwirtschaftskrise. Wenn der Gesundheitsminister die eine nicht besiegt, brauchen wir vom Finanzminister eine Waffe gegen die andere, besser heute als morgen.” Der Branchenkenner fordert die rasche Wiedereinführung der Hilfsmassnahmen vom Vorjahr.
Österreich: 51% Buchungen storniert!
Auch ÖHV-Vizepräsident Walter Veit betont: “Wir haben schon vor Wochen einen Schutzschirm gefordert. Und jetzt stehen wir genauso unvorbereitet da wie im Vorjahr.” In allen Regionen Österreichs, auch in denjenigen, für die – noch – kein Lockdown verkündet wurde, sei die Lage schlecht. Eine aktuelle Branchen-Befragung der ÖHV mit 350 teilnehmenden Hotels in nur 24 Stunden zeige, dass in den letzten Tagen 51% der Buchungen storniert wurden. Die stärksten Rückgänge wurden aus Oberösterreich gemeldet, dort wurden 62% der Buchungen storniert, die Auslastung sinke im Durchschnitt über die Wintermonate auf deutlich unter 40% – definitiv zu niedrig, um wirtschaftlich zu arbeiten.
Laut der Umfrage rechnen Vorarlberg, Tirol und Salzburg mit Rückgängen um die Hälfte, die Auslastung lande damit bei knapp 40% im Dezember und einem Anstieg auf 65% im Februar. Für Ein-Saison-Betriebe bzw. Unternehmen, die den Grossteil des Jahresumsatzes in diesen Monaten verdienen, ist dies ein Fiasko. In der Stadthotellerie, die seit Ausbruch der Krise aus dem Dauertief nicht hinauskommt, liegt die Auslastung bei 30% bis 40%.
Nur wenig besser sieht es für Thermenhotels mit hohem Inländer-Gästeanteil mit 38% Stornoquote aus. Ihre Auslastung sinkt über den Winter auf ca. 60% – in der Hochsaison, die in Normaljahren deutlich besser gebucht ist. “Schon allein deswegen hätte es längst einen Schutzschirm gebraucht. Das war absehbar. Man hat weggesehen”, fasst Veit die Verwunderung und Enttäuschung in der Branche zusammen.
KOMMENTAR zur aktuellen Lage
von Prof. Christian Buer, Hochschule Heilbronn,
Fachgebiete Hospitality Real Estate & Development, Hotelmanagement & BWL
Déjà-vu! Déjà-vu!
Die Drama-Schleife zieht sich weiter
“Die aktuelle Lage der Covid-19-Pandemie führt zu einer gewissen Parallelität der Zeit, die wir exakt vor einem Jahr hatten. Hierbei war politisch gefordert, dass Weihnachten gesichert sein muss! Dann kam der – lange – Lockdown. Jetzt leiden Gastronomie und Hotellerie schon wieder. Das führt zur Absage von Familien- und Weihnachtsfeiern und zu vorzeitigen Stornierungen von Weihnachtsurlaub bzw. Ski-Ferien im Februar. Einen Lockdown soll es – mit Stand von heute – nicht wieder geben, die Perspektivlosigkeit aber bleibt.
Die Politik muss auch gar keinen Lockdown mehr ansetzen: Dank des Macht-Vakuums und des Chaos in Berlin wie auch aufgrund der Frust-Erfahrungen aus dem letzten Jahr gehen die Gäste schon von sich aus in den Resignationsmodus. Sie stornieren vorsorglich schon gebuchte Leistungen und stellen weitere Vorhaben so weit zurück, dass der Hotelier wieder nur extrem kurzfristig planen kann.
Prof. Christian Buer.
/ Foto: Horwath HTL DACH
Das Berliner Chaos ist nun zu ihm in den Betrieb gewandert und
befeuert die bekannten Konflikte des Corona-Jahres 2020 erneut: Der Hotelier kann aufgrund der unsicheren Buchungslage seinen Betrieb nicht ausreichend vorbereiten und wird daher zwangsläufig seine Mitarbeiter wieder in Kurzarbeit schicken müssen. Sollte die Nachfrage kurzfristig steigen, wird dieser Hotelier seine Mitarbeiter nicht kurzfristig aus der Kurzarbeit zurückholen können. Die Folgen: Das Hotel ist nur zu 50% ausgelastet und wird die Gäste nicht zufriedenstellen.
Weihnachten 2021 entwickelt sich damit zum bitteren Déjà-vu von Weihnachten 2020.
Statt Chaos lieber in ein kontrolliertes Koma fallen?
Wie werden sich Chaos, Unsicherheit und Kurzfristigkeit für die Stadt-Hotellerie entwickeln? Sie besitzt den Vorteil, dass sie auf kurzfristige Nachfrage-Steigerung schneller reagieren kann als Ferienhotels – vor allem bei Limited Service-Konzepten. Da bleibt nur noch diese winzige Kernfrage übrig: Wie schaffen es die Zulieferer, insbesondere Fremd-Reinigungen und Wäschereien, der plötzlich steigenden Nachfrage von Seiten des Hotels nachzukommen?
Ich würde es Hoteliers nicht verübeln, wenn diese aufgrund der sehr unsicheren politischen Lage im Umgang mit dieser Pandemie den Betrieb einfach zulassen und sich dazu entschliessen, im Frühjahr 2022 eine komplette “Neueröffnung” vorzunehmen. Sprich: Jeder Hotelbetrieb taucht ab in eine kontrollierte Problem-Situation – ähnlich einem Koma – und sucht sich nach dem Aufwachen eine neue Gäste-Klientel!
Betriebswirtschaftlich gesehen bahnt sich in der bevorstehenden Weihnachts- und Winter-Saison für die Hotellerie wieder ein neuer Cashflow-Kampf an, begleitet von einer weiteren Kündigungswelle frustrierter und müder Mitarbeiter, garniert von einer rasant steigenden Inflation, die wiederum neue Verhandlungskämpfe mit Eigentümern und Investoren über die Miete auslöst. Eine neue Drama- Schleife – und wieder ein Déjà-vu!
Um die Hotel-Betriebe, die die nächsten Monate nicht überleben werden, wird sich vermutlich niemand kümmern. In den Arbeitslosen-Statistiken werden einzig die Mitarbeiter auftauchen. Den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden wird niemand bemessen wollen; die Auseinandersetzung damit würde weitere Schwächen in Politik und Lobbyismus offenlegen.”